Cause it’s over anyway
Corona, der Lockdown und Social Distancing, alles Dinge, die vor allem Berlin trafen wie der Blitz.
Alles wurde ganz starr, war erschrocken und ungläubig.
Plötzlich durfte man noch nicht mal mehr in der Schlange vorm Club stehen, in den man sowieso nie reinkommt, aber die Gesellschaft der Mitwartenden genießt. Plötzlich war der Techno aus und das Putzlicht an. Plötzlich war die U8 leer, die M1 und die M4, zu jeder Zeit.
Herrlich!
Was fand ich das herrlich. Die Stadt war zwar immer noch das gleiche Moloch, das gleiche Arschgesicht wie immer, aber zumindest mal nicht drupp, mal nicht gehetzt und laut.
Fast beschaulich, niedlich und runtergeholt vom Trip. So als wär Dein Dealer tot und die Apotheke baut um, dann musste Dich eben zuhause in die Wolldecke einmummeln und Kamillentee trinken, anstatt MDMA in Coke aufzulösen.
Ich musste mich aber gar nicht einmummeln, denn die Stadt gehörte mir allein (gefühlt) und mein Atelier war so einsam wie immer, also unbedenklich und sozial gesehen nearly dead. Wunderbar.
Ich fühlte mich, als wäre ich in ein Zeitloch gefallen und könnte nun im Vergleich zu den Bürohengsten mal „vorarbeiten“, wie ein Streikbrecher, wie einer, der an Weihnachten arbeitet und Silvester.
Am Telefon hörte ich oft „Boah, mir fällt die Decke aufn Kopf“ oder „Ich habe so viel Zeit, ich lerne jetzt italienisch“ oder „ich bin nur am fressen und schlafe“.
Das hätte ich auch gern alles gemacht, aber ich dachte nur: Mach schneller, mach mehr, mach fertig, sonst dürfen die Ficker irgendwann wieder alle raus und die himmlische Stille ist dahin!
So war’s dann auch. Isch abe fertisch gemacht, mich, alles. Und kam sehenden Auges an den Punkt, an dem das Frettchen wartete… Ich war im Flow, eins mit der Farbe und hatte das Atelier an den Rand seiner Kräfte gebracht. Auf keiner Tube war ein Deckel, jeder Lappen hart,
und dann der Supergau: „Cause it’s over anyway (volcano)“
Diese Arbeit hat mich fast in den Wahnsinn getrieben…
Vielleicht war es einfach too much, Zeit für ein Schläfchen und die Wolldecke, aber ich war eine Peitsche, jeder Lockdown-Tag Bonus-Zeit nur für mich. Eins geht noch, eins noch…
Doch ich vergaß. Denn 1-2 mal im Jahr gibt es so ein faules Ei, das einfach nicht funktionieren will und einem jeden Tag im Atelier den Stinkefinger zeigt. Son Trotzkopf eben, der absolut nicht das macht, was man ihm sagt. Dann stellt man alles in Frage, rastet aus, schmeißt Sachen durch die Gegend und weint.
Dann will man umschulen auf „irgendwas mit Bank“ und die Malklamotten verbrennen, aber die Wahl hat man ja nicht, man hat es sich ja nicht ausgesucht (meine Meinung). Dann hadert man, fragt sich „warum hab ich eigentlich nichts anständiges gelernt? warum hab ich nicht mal in BWL reingeschnuppert, wär vielleicht der Hit gewesen…!?“ und steht oben auf der Klippe mit dickem Mantel und brüllt hysterisch „Ist doch eh alles egal!“. Großes Kino, großes Drama, der Atelierschlüssel knapp überm Gulli.
Doch nach ein paar Tagen Drinks und Schlaf und Ostsee-Dokus geht man wieder hin. Wie nach einem schlimmen Streit für den sich keiner Entschuldigen will, dann wurschtelt man wortlos nebeneinander her und linst rüber, wenn der andere nicht guckt. So fühlt es sich dann an, wenn man zurückgekrochen kommt in den Werkraum. Die Skizze muss weg, der Wunsch nach dem perfekten Resultat als Wurzel allen Übels.
Dann kann man nur sagen „F*** it“ und „Tschüss“. Dann wird’s jetzt halt anders, dann schaltet man das Navi halt off und wartet, wo man ankommt. Dann überrascht man sich mal wieder selbst, und denkt sich „ach guck, dit kannste ooch“. Isset nicht schön? Na geht so.
Aber das Zeitloch war wie die Weihnachtsbäckerei, ein Fließband, eine Tönnies-Schlachterei.
Ruhrgebiets-Maloche vom Feinsten. Und als die Leute wieder aus ihren Ritzen gekrochen kamen und die dusseligen Raver auf ihren dusseligen Schlauchbooten den Landwehrkanal verstopften, hatte ich innerhalb eines halben Jahres elf Arbeiten geschaffen und wiedermal keine Ausbildung bei der Sparkasse begonnen. Thank God.