Ausstellung „was klar ist“ | Kunstverein Bad Aibling

Die Welt in Fragmente zerlegt

Die Berliner Künstlerin Kati von Schwerin stellt beim Kunstverein Bad Aibling aus

Ute Bößwetter | Oberbayerisches Volksblatt | 09. Juli 2021

„Ein intensives Neonrot leuchtet dem Betrachter entgegen, betritt er den großen Raum des alten Feuerwehrgerätehauses in Bad Aibling. In einer Vielzahl ihrer Bilder hat die Künstlerin Kati von Schwerin geometrische Formen in diesem Rot eingebracht. Manchmal sind es nur schmale Streifen, als hätten sie die Funktion eines Ausrufezeichens, das den Bildinhalt akzentuieren soll, ein anderes Mal handelt es sich um größere Flächen im Gemälde, die Teil des Bildinhaltes sind. Man kann ihre Kunst im weitesten Sinne als Popart bezeichnen. Zwar knüpft sie an diese Kunstrichtung der Sechziger und Siebziger Jahre an, legt aber eine eigenständige Ausdrucksweise an den Tag. Übernommen hat sie die lapidare Sichtweise und die farbintensive Sprache des Genres, und auch die ironisierende Darstellung von Konsumgütern findet man in ihren Arbeiten. Kati von Schwerin legt strenge Maßstäbe an sich selber an, wenn sie fordert, dass ihre Kunst der Gesellschaft als Spiegel zur Selbstfindung dienen solle. Dazu schafft sie mit ihren Arbeiten ganz neue Sichtweisen, denn ständig wird der Betrachter zum Mit- und Weiterdenken animiert. Basieren diese fotorealistischen Arbeiten auf Fotografien oder sind sie frei gemalt? Das ist der erste Impuls, den Kati von Schwerin dem Gegenüber gibt: diese Arbeiten sind frei gemalt, naturgetreu der Hahn, der Rasierapparat, die altmodisch anmutende Handschrift. Im nächsten Schritt hebt sie die Realität der Dinge auf, indem sie das jeweilige Bild in Streifen schneidet und diese in veränderter Reihenfolge neu aneinander fügt. Von dem stolzen Hahn bleiben lediglich Fragmente, der hohe rote Kamm ein leeres Symbol, Überbleibsel ehemaligen Stolzes und der Kampfeslust. Der Titel des Bildes lautet infolgedessen: „That cock won‘t fight“.
Durch das Zerteilen nimmt die Künstlerin eine Bewertung vor, die das bisher Gültige in Frage stellt. Ähnlich verfährt sie mit einem präzise gezeichneten, aber halbierten Rasierapparat, der in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein gepriesenes Designerstück war. In dieser bildlichen Darstellung wird er auf die Hälfte reduziert und somit kritisch hinterfragt. Mit Öl und Acryl auf Leinwand gemalte Blöcke in Neonrot und Tiefschwarz begrenzen den Bildgegenstand, der Titel lautet „City of Men“.
Aus dem Bereich der Schrift gibt es mehrere Bilder. Schwarz auf Weiß mit Präzision geschrieben, findet der Betrachter Wortfragmente vor, aus denen er unwillkürlich die vollständigen Wörter bilden möchte. Der Kopf will und soll arbeiten. Die Künstlerin hat diese Wörter vorgezeichnet und anschließend ausgemalt. Das, was aussieht wie eine Kopie, ist in Wahrheit mühsame Handarbeit. Die Schrift trägt den Titel Edwardian Script und stammt aus vergangenen Zeiten. Kati von Schwerin erinnert mit dieser Arbeit daran, dass heute Dinge, denen man ewigen Wert beimaß, nicht mehr gültig sind. Und im Zeitalter der vorwiegend digitalen Nachrichtenübermittlung erhält der naheliegende Spruch „Denn was man schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen“ gleich mehrere ironische Anspielungen.
Bleibt noch zu erwähnen, auf welche Weise die Künstlerin ihre in Streifen geschnittenen Exponate neu zusammenfügt. Sie näht die Leinwand mit ihrer Nähmaschine zusammen, ein überaus schwieriges Unterfangen, denn es handelt sich ja nicht um leichten Stoff, sondern um sperrige Materie. Auf diese Art erweist sich die Fertigstellung ihrer Bilder in mehrerer Hinsicht als aufwendig.
Kati von Schwerin studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und war dort Meisterschülerin von Markus Lüpertz. Außerdem absolvierte sie ein Studium der Philosophie in Düsseldorf und Berlin, dessen Schwerpunkt sie auf kulturelle Inhalte legte.
Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland begleiten ihren künstlerischen Weg.“


LEO Magazin München (Mai-Juni | Heft 173)